Als Kind war es ganz klar: Die Welt war tatsächlich bevölkert von magischen Wesen wie dem Nikolaus und dem Christkind. Wunderbare Dinge konnten passieren.
Meine (ehrlich gesagt nicht immer ganz blitzsauber geputzten) Stiefel füllten sich über Nacht mit Leckereien. Der Nikolaus kam sogar manchmal vorbei und wusste dann sehr viele Dinge über mich, was ich das vergangene Jahr über so angestellt hatte und auch, wo mir etwas besonders gut gelungen war. Als Kinder glauben wir ganz fest an den Nikolaus!
Und als Erwachsene? Wäre es nicht schön, mit dieser unerschütterlichen, kindlichen Zuversicht an uns selbst zu glauben? Was hält uns davon ab?
Wir glauben, uns zu kennen. Wir meinen, ganz genau zu wissen, wer wir sind, was wir können und wie wir gestrickt sind. Wir haben unsere altbekannten Vorlieben und Abneigungen, wir reagieren in bestimmten Situationen auf eine uns eigene Weise und so ist es eben. In den Jahren unserer Existenz haben wir gelernt, ein Ich-Bewusstsein aufzubauen, das uns Stabilität gibt. Wenn ich weiß, wie ich bin, kann ich gut einschätzen, wie ich in bestimmten Situationen reagieren werde. Das gibt mir Sicherheit und Bequemlichkeit wie ein gut eingelaufener Schuh.
Dieses Ich-Empfinden kann sich aber auch festfahren, ein Gefängnis aus alten Gewohnheiten und Meinungen werden. Dann glaube ich, dass ich die Dinge nur auf eine bestimmte Weise mag oder nicht mag. Ich erledige meine Aufgaben immer auf dieselbe Art. Ich halte mich für temperamentvoll oder schüchtern oder klug oder ungeschickt oder was auch immer. Ich glaube zu wissen, was mir schmeckt und was nicht, weil das eben früher schon so war. Aber stimmt das noch? Oder schränkt es mich ein? Führt dieses sichere Gefühl, zu wissen, wer ich bin, nicht auch gleichzeitig eine Enge der Gewohnheiten?
Wenn es so wäre, dass aufgrund unserer früheren Erlebnisse unsere Fähigkeiten, Vorlieben und unser ganzes Wesen in Stein gemeißelt sind, dann könnte nie eine Entwicklung stattfinden. Wir würden erstarren in unserem erlernten Egobild. Der Fluss des Lebens wäre in uns gehemmt, vielleicht sogar blockiert.
Sicherlich haben wir bestimmte Talente und sind an anderer Stelle vielleicht weniger begabt. Ich glaube nicht, dass aus einer passionierten Bäckerin ohne grünen Daumen plötzlich eine Gärtnerin wird. Das nicht. Aber vielleicht schlummern in uns doch unerkannte und unbewusste Eigenschaften, die wir aus Gewohnheit übersehen haben.
Vielleicht lohnt es sich für Dich, ein Experiment zu machen. Fast jede(r) von uns hat bestimmte Vorlieben und Abneigungen was zum Beispiel das Essen angeht. Ich glaubte jedenfalls von Kind an, dass ich keinen Most mag und habe mich immer vehement geweigert auch nur ein Schlückchen zu probieren. In meiner Erinnerung war es saures, muffiges Zeug, das nur Opas trinken. Als mir dann aber im Laufe der zeit klar wurde, dass "ich" kein festbetonierter Zustand ist, sondern dass "ich" alles sein kann, bestellte ich mir zum Erstaunen meines Mannes beim nächsten Kneipenbesuch einen Most. Und er schmeckte mir. Es war fantastisch.
Vielleicht magst Du auch einmal mit Deinen Vorlieben experimentieren. Eine meiner Kursteilnehmerinnen erzählte mir, dass sie ihren Partner ganz bewusst als Versuch zu einer Autoaustellung begleitete und es ihr wider Erwarten Spaß machte. Vorher war er immer allein gegangen, weil sie auf so etwas "nicht stand". Mit einem offenen Geist konnte sie sich tatsächlich von ihren bisherigen Vorstellungen lösen und war erfreut, dass sie die Zeit mit ihrem Partner dort so sehr genießen konnte.
Also: Erlaube Dir doch einmal, die Dinge neu zu sehen. Wie mit den Augen eines Kindes. Vielleicht erlebst Du Dich als Wesen mit viel größerer Variationsbreite, als Du gedacht hast. Vielleicht bist Du mutiger, tapferer, spontaner, lustiger, gelassener als Du denkst.
Glaub` an Dich! Aber glaube nicht alles, was Du über Dich denkst!