Springe zum Inhalt

Mit Geduld und Spucke

durchhaltenEs gibt Tage, an denen haben wir das Gefühl, es geht überhaupt nichts voran. Seit so langer Zeit üben wir bereits, mit dem zu sein, was jetzt ist. Und dennoch scheint es uns, als seien wir nicht in der Lage, unsere altbekannten Verhaltensmuster auch nur ein kleines bisschen zu verändern.

Im Gegenteil, es sieht so aus als würden wir manchmal sogar häufiger in die Fallen tappen, denen wir doch eigentlich unbedingt entkommen wollten. Wieder und wieder laufen unsere Autopilotmuster ab, wenn wir in Stress geraten, wenn unser Partner oder unsere Kinder uns überfordern oder die roten Knöpfe drücken, die uns schon immer in Nullkommanichts auf die sprichwörtliche Palme gebracht haben. Und dann sitzen wir da oben auf unserer in die Jahre gekommenen Palme und zweifeln.

Was soll die ganze Bemühung um das Sein im Augenblick, wenn ich doch nichts an meinen Reaktionen ändern kann? Wenn ich im Gegenteil sogar viel genauer sehe, was da gerade abläuft und dennoch nicht in der Lage bin, mich aus meinen inneren Fallstricken zu lösen?

Mir hat in dieser Situation geholfen, mich an zwei der grundlegenden Qualitäten der Achtsamkeit zu erinnern: Freundlichkeit zu mir selbst und Geduld.

Es stimmt, dass es nicht besonders angenehm ist und manchmal sogar schmerzhaft, wenn ich mitanschauen muss wie meine "überlieferten" Reaktionsmuster vor meinen Augen ablaufen. Das kann sich wie Folter anfühlen. Ich weiß, dass ich so nicht sein möchte und kann gleichzeitig rein Garnichts dagegen tun, dass meine eingespielte Szene genauso auf die Bühne kommt wie sie das schon seit Jahren tut. Ich sehe mich mit meinem Kind schimpfen oder mit meinem Partner schmollen und bin wie gefangen in dieser Reaktion. Da hilft mir nur, das Ganze mit einem kleinen inneren Lächeln zu sehen und mir zu sagen: "Schau an, an diesem Punkt sind wir gerade mal wieder!" Mein Autopilot läuft dann zwar häufig weiter ganz ohne mein Zutun ab, nur habe ich ihn bereits erkannt, als er sich auf den Weg gemacht hat.

Darin liegt ein immenser Vorteil! Ich kann schneller zurückrudern! Ich kann meinem Kind erklären, dass ich gerade heute besonders angespannt bin und mich deshalb im Ton vergriffen habe. Ich kann mich entschuldigen. Ich kann meine Schmollecke schneller wieder verlassen und mir das von meinem Partner holen, was ich eigentlich brauche, nämlich eine Umarmung und vielleicht auch die Versicherung, dass ich geliebt werde trotz meiner unzähligen Macken. Der erste Schritt in diese Richtung ist meine eigene Freundlichkeit im Umgang mit meinen Fehlern und automatisierten Abläufen in Stress-Situationen.

Wenn ich lerne, mit mir selbst auch dann freundlich und nachsichtig zu sein, wenn ich mich am Wenigsten leiden kann, wird mein Umgang mit anderen und ihren Verhaltensweisen mit der Zeit ebenfalls weicher und liebevoller. Wir alle sind nicht perfekt und das müssen wir auch nicht sein.

Die Geduld hilft uns dabei, den Weg der Achtsamkeit als langsamen Lernprozess zu verstehen und anzuerkennen. Man sagt, es braucht ungefähr 20000 Übungsstunden, bis aus einem Anfänger ein Könner geworden ist. Das gilt für Klavierspielen genauso wie für die Meditation.

Jedes Mal, wenn wir uns in einer Autopilotsituation "erwischen" üben wir, diese Situation achtsam wahrzunehmen und packen wieder ein kleines Übungsstück in unseren Erfahrungsschatz. Nach und nach werden wir von Anfängern zu Fortgeschrittenen und irgendwann zu Experten. Das ist der Lauf des Lernens. Wie oft müssen Musiker Tonleitern üben? So mancher ist wohl beinahe darüber verzweifelt. Und doch bilden sie die Grundlage für ein wirklich virtuoses Können und für mit Leichtigkeit und scheinbarer Mühelosigkeit vorgetragene Werke.

Also: Mit jedem Autopiloten, den wir ertappen und beobachten, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns irgendwann völlig erstaunt dabei zuschauen wie wir spontan auf ganz neue und liebevolle Weise in einer Situation reagieren, die uns bisher in die tiefsten Tiefen unsere automatisierten Überreaktionen geworfen hat.

Dran bleiben und aufpassen!

Und wenn es auch manchmal nur der eine einzige Atemzug am Tag ist, den wir achtsam tun. Immer weiter üben, es gibt nichts zu verlieren außer unseren schmerzhaften Verhaltensmustern. Und es gibt so viel zu gewinnen auf dem Weg der Achtsamkeit.

Kennt Ihr auch dieses Gefühl, wenn man sich selbst bei einer Autopilotreaktion zuschaut und nichts dagegen tun kann? Schreibt mir doch unten einen Kommentar, wenn Ihr Lust habt. Ich würde mich freuen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Newsletter abonnieren